voriges Gedicht nächstes Gedicht

Aus »Idäisches Licht. Erstes Buch«. Gedichte 2006, Vers 10948 bis 11213

HYPERBORÄISCHE BRIEFE


I

Wo das Licht noch ungebrochen
Herrscht, wenn meins schon rot verfahlt,
Ist ein Feuer ausgebrochen,
Das mir tief ins Nachtherz strahlt.

Stärker noch als Helios’ Erbe
Ist der nächtige Apoll,
Daß er alle Macht erwerbe,
Wird der Geist verrückt und toll.

Sag, wer könnte widerstehen,
Wenn der Gott den holden Wahn
Uns befiehlt, und nicht vergehen,
Eh der Pfeil auf seiner Bahn?

Sollen wir wie Knaben beten,
Solln wir küssen Stein und Wind?
Unterm Sturm des Musageten
Wird der Harscheste zum Kind.

Und vom Pythischen gerüttelt,
Will ich selbst der Apfel sein,
Vom Erkenntnisbaum geschüttelt
Als die Botschaft: Du bist mein.


II

Mancher, den das Glück betrogen
Unterm Joch der Gegenwart,
Flucht das Aug, das ihm gelogen,
Und das Ohr, das ihn genarrt.

Doch der Weise wird ihn schelten,
Weil aus ihm der Undank spricht:
Was du schaust, das soll dir gelten,
Doch dich selber schaust du nicht.

Schau den eignen Geist, der allen
Wegen Licht und Klang erhält,
Denn der Geist tappt nur in Fallen,
Die er selber aufgestellt.

Nicht die Taktik, die verfeinert,
Zwingt das Schicksal, das dir grollt,
Wen ihr Antlitz nicht versteinert,
Sieht Medusen jung und hold.

Drum vertrau der Traum-Devise,
Schau nach Segeln, die sich von
Osten mit dem Goldnen Vliese
Steuern auf Heraklion.

Schon in Bälde dich zu treffen,
Der Ägäis froh und nah,
Magst als Lotse für mich reffen
Stolzen Tags die goldne Rah.


III

Mein Kreter, durstig auf Laudanum-Reime,
Solang dein Magen würgt, dein Schädel birst,
Such ich Kamillensud und Haferschleime
Zu würzen, daß du heil und heiter wirst.

Wohl hat, was sonst dem Leib die Lebensfreude
Zurückgab, türkisch Bad, Balsam und Duft,
Und alles, was der Schlemmer gern vergeude,
Enttäuscht und ist als wirkungslos verpufft.

Es kann wohl sein, daß dir in dieser Grube
Ein Bote spricht und dir ein Warnwort raunt,
Daß eingesperrt in Schlafgemach und Stube
Das Kind in deinem Herzen horcht und staunt.

Hast du den Schmetterling in deinen Träumen
Vergessen und den Glanz, den er entfacht?
Und hast du selbst das köstlichste, sein Säumen,
Der Sorge und der Tagesmüh vermacht?

Die Liebe weiß von fürchterlichen Leiden,
Und mancher meint, daß sie selbst Krankheit sei,
Doch wer sie flieht, der wird nicht mehr entscheiden,
Ob sie dem Leib die seligste Arznei.

Mög sie im Dunkel, das dich heimsucht, keimen,
Um dich zu sehn, der hell und heilig spricht:
Ich komme, um ein neues Lied zu reimen,
Und alles, was ich tu, sei dein Gedicht.


IV

Wenn ich träume, leicht und lauter,
See, die Tang und Salze blies,
Sag, Geliebter, ungeschauter,
Ob du ruhst auf Goldnem Vlies.

Sterne wandeln, alte Zeichen
Tauschend, und wer weiß, ob eins
Uns erlaubt, uns zu erreichen –
Dies verraten wird uns keins.

Früher Himmel deckt mein Amen
Und mein Menschenmund verwaist,
Du Geliebter ohne Namen
Kannst ermessen, was das heißt.

Wem Apoll im Mai gewogen,
Trägt den Fall des Jahres hart,
Doch der Pfeil von seinem Bogen
Schnellt in jede Gegenwart.

Nicht der Wunde, die der Panther
Schlägt, geb ich den Odem hin,
Du Geliebter, unbekannter,
Wirst erfahren, wer ich bin.


V

Steigt der Nebel aus dem Ried
Morgenhin, durchwachter Nacht
Deutend, daß sie jählings flieht,
Müd das Herz und traurig macht.

Zeigt sich Sonne, einem Drachen
Ähnlich, macht in Reim und Gruß
Dein Gedicht mein Haus zum Nachen
Und beflügelt Herz und Fuß.

Daß mich Pflichten von dir trennen,
Krampft die Brust und ballt die Faust,
Doch ich glaube dich zu kennen,
Daß du wachst und mir vertraust.

Also will ich dich erreichen,
Wo mein Blick im Dämmer frägt,
Denn der Leib ist selbst ein Zeichen
Für die Seele, die ihn trägt.

Seit wir uns im Geist berührten,
Fehlt vom Himmelsrund ein Stück,
Doch die Sterne, die uns führten,
Fragen nicht nach Leid und Glück.

Was ihr Strahl uns aufgetragen,
Deutet nur der Mund, der singt,
Und ich will es mit dir wagen,
Bis Saturn die Sense schwingt.


VI

Jeder Tag, der dich nicht bringt,
Jeder Atemzug der Bange
Ähnelt einer Riesenschlange,
Die mich würgt und dann verschlingt.

Wenn dein braunes, volles Haar
Nicht an meiner Seite fächelt,
Bin ich nur ein Hund, der hechelt,
Und des Trostes gänzlich bar.

Manche Freude birgt die Welt,
Doch nur deiner Augen Spiegel
Löst der Trübnis Schattensiegel,
Der mich ganz gefangen hält.

Grüßt, wenn ich dem Traum entwach,
Nicht der schlanke, urvertraute
Engel, schenken Harf und Laute
Nichts als Wimmern, Weh und Ach.

Wenn ich an die Trennung denk,
Zähl ich zu den Tantaliden,
Doch die Hoffnung gibt mir Frieden,
Denn den Schmerz schafft ein Geschenk.


VII

Unvergleichlich ist die Stimme,
Die mich streichelt, wenn sie spricht,
Selbst im Bangen und im Grimme
Wollt ich andre Laute nicht.

Unvergleichlich ist der Schatten,
Den du wirfst in Herz und Nest,
Daß die Götter solches hatten,
Glaub ich nicht besonders fest.

Unvergleichlich die Gebärde,
Wenn du eintrittst in den Raum,
Daß mich Stärkeres gefährde,
Fiele mir nicht ein im Traum.

Und es gibt auch kein Erbarmen,
Daß mir frommte ähnlich wie
Dein unsägliches Umarmen,
Drin ich jeden Schmerz verzieh.

Deiner Reize Lob-Bekunder
Sei mein Leben bis zum Schluß,
Doch das größte aller Wunder
Sind dein Atem und dein Kuß.


VIII

Wenn mir nur noch eines bliebe,
Schlöß ein Lied mein Auge zu.
Singen heißt mich meine Liebe,
Denn Musik – sie ist wie du.

Ihre Anmut gleicht der Welle,
Und sie ist der Seele Kleid,
Ohne Raum und ohne Stelle,
Doch vollkommen in der Zeit.

Du, Akkord, der mich ergründet,
Du, Fanfare, die mich stählt,
Wahrwort, das im Reimklang mündet,
Bleibst du vor der Zeit erwählt.

Da die Götter mich beneiden,
Ist die Rache mir gewiß,
Doch das Reich, das wir beeiden,
Trotzt dem Spruch der Nemesis.

Nicht nach Jahren und nach Tagen
Zählt, wer auf die Wolke setzt.
Unsre Schwinge wird uns tragen,
Bleibt sie von uns unverletzt.

Auf dem Idaberg zu danken,
Soll ein Opfer uns befrein,
Doch den reichsten der Gedanken
Sprich nicht aus und halt ihn rein.


IX

Du weißt, du bist
Von weit gesandt.
Nur der Psalmist
Bleibt dir verwandt.
Wer Ringe reiht
Ins nächste Glied,
Fällt mit der Zeit,
Die ihn erzieht.

Wer wagt und hofft,
Gewinnt das Spiel,
Was prunkt, ist oft
Auch höchst fragil,
Was blendet, meid,
Wenns schmerzt, so scheus,
Denn solches Kleid
Frommt nur dem Zeus.

Erahn noch spät
Das frühe Heil,
Im Kriegsgerät
Den Liebespfeil,
Des Schwans Gebalz,
Des Adlers Tracht,
Wo Sand und Salz
Diktynn bewacht.

So folg der Spur
Zum Idaberg,
Für Asias Flur,
Ein seltner Zwerg,
Doch welthin weiht
Das Leucht-Gefährt
Den, den vor Zeit
Die Ziege nährt.

Ägäisch schau
Poseidons Gischt,
Im Kurs genau
Das Segel zischt,
Ausguck erspäht
Den Zeus im Schlaf,
Der Westwind bläht
Konvex, konkav.

Ob seine Hut
Uns bräutlich weih?
Sein Traum ist gut,
Was auch gedeih.
Wenn sein Beschluß
Verwirft, was war,
Nimm diesen Kuß
Für immerdar.


X

Nicht, daß sich der Wunsch erfülle,
Nicht, daß wahr sei, was er glaubt,
Nicht, daß man sein Los enthülle,
Neigt der Beter fromm das Haupt.

Er vertraut dem Recht der Liebe,
Weiß in ihr den frühsten Traum,
Daß auch Götter zarte Triebe
Sind an ihrem Lebensbaum.

Doch er fleht, er mög es schaffen,
Froh zu sein in Glanz und Mut,
Daß ihm taugen Wehr und Waffen,
Wenn der Gott ihm Großes tut.

Nicht den Geistern, die verneinen,
Hat sein Herz das Ohr geliehn,
Und dem Schicksal im Erscheinen
Betet er, daß ers verdien.


XI

Unergründlich sind die Pfade,
Die wir gehn und die uns drohn,
Was uns fromm und was uns schade,
Welcher krumm und welcher grade,
Ist verhüllt dem Menschensohn.

Ob es uns erlaubt zu naschen
Am Verheißnen, das uns mählt,
Wenn der Gaukler, dich zu haschen,
Dich mit zarten und mit raschen
Flügelschlägen lockt und quält?

Niemand wird es uns verraten,
Doch im Linienspiel der Hand
Stehn Verzicht und stehen Taten,
Was wir hofften und erbaten,
Als Geheimnis eingebrannt.

Und im Auge ruht ein Drache,
Den allein ein Auge weckt.
Wir bemühn uns, daß er wache,
Unter manchem fremden Dache,
Doch er schweigt, bis ers entdeckt.

Seiner Weisheit zu vertrauen,
Werde froh und rüste dich,
Alle Wunder anzuschauen
Und sein Haus dareinzubauen,
Ist er reich und königlich.