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Aus »Idäisches Licht. Erstes Buch«. Gedichte 2006, Vers 11838 bis 11909

KOUROS


Für Serge Mangin

Da sich im Klange der Mensch eine eigne Geschichte
Schuf, daß er blinden Naturlaut in Sprache und Schrift
Zu einer Einheit von Formen und Farben verdichte,
Auch man die frühesten Werke der Bilderkunst trifft.

Eh noch der Logos sich zeigt, hat Grammatik gestritten,
Welche die frühsten Kulturen komplex und subtil
Handhabten wie ein Refugium des Geistes inmitten
Bebenden Schreckens, der Ares bekam und gefiel.

Was für die Stunde der Laut, sind im Raume die Steine,
Unbehaun, klobig, von Riesen geschleudert im Grimm,
Aber der Mensch fand im Herzen die Götter, die seine
Kehllaute ordneten, daß ihre Tonleiter stimm.

Er ward erhört und für alle, die Götter bestreiten,
Möge ein Blick in Vergangnes die Theodizee
Endgültig einfach entscheiden, im Anfang der Zeiten
Schliefen die Sorglosen nicht im olympischen Schnee.

Und auch die Muster für bildendes Tun und Gestalten
Zeigte der Kosmos, der fest und dynamisch sich stellt,
Ehe Gesteine die Schwinge des Horus entfalten,
Hetzte Orion mit Eifer den Winter der Welt.

So wie die Stimme die Flöten und Leiern vereinigt,
Weiß auch die älteste Kunst, daß die Mitte des Alls
Menschengestaltig sich aus dem Graniten gereinigt
Findet, verwundbar an Gliedergelenken und Hals.

Spätere, die, was die Frühtage schenkten, zerschlagen,
Tasten nach Sinn, der vom Taumel der Sinne befreit,
Aber was raumlos sich weiß und vom Chaos getragen,
Schafft weder Mythos noch Logos und hat keine Zeit.

Nur wer die Räume begreift als die Zeit-Parallelen,
Weiß, daß das Herz nicht nur Muskel ist wie das Gesäß,
Er reist ins Altertum, um ihm nicht länger zu hehlen,
Daß es für Zeus und das Himmelsgebläu das Gefäß.

Zeiten, die groß waren, dachten sich selber als Schüler
Größerer Meister, von ihnen durch Fesseln getrennt,
Die keine Mühe zerbricht und kein tastender Fühler,
Denn auch im Nektar verweilen die Götter uns nicht.

So wie die Sprache zur Spätzeit mit simpleren Formen
Aufgibt ihr Heil, so versuchen die Künstler abstrakt
Allem Vergleich zu entgehn und den göttlichen Normen,
Darin der Minner steht, aufrecht, verhalten und nackt.

Aber auch diese von Göttern verlassene Stunde,
Hat ihre Meister, die Demut vor Alten nicht scheun
Und, ihnen treu in dem wahrhaft archaischen Bunde,
All ihre Träume in ewigen Mustern erneun.

Wer aber weiß, welche schwindelnde Höhe geboten,
Fragt weder Staat noch die stolze Bohème von Paris,
Und er gestaltet den Jason und nicht die Zeloten,
Der um die Lenden nichts trägt als das Goldene Vlies.

Dir sind die Kouroi auf Kreta und auf den Kykladen,
Vorbild und Ansporn, dein Herzblut auf diesem Altar
Der Aphrodite zu weihen, ob so auch der Faden
Lebens zerrisse, der kleinerer Festigkeit war.

Nichts mehr zu hoffen, erkennst du, daß all unsre Mühen
Wurden vergolten am Tag, da die Weltschöpfung stand,
Auf einer Hutweide stehn wir und gleichen den Kühen,
Denen die Gräser gemäß sind für ihren Verstand.

So ist der Ruhm, den die heutigen oder noch spätre
Spenden, ein Mißgriff, wie Rilke schon sagte, der Wahn
Heutiger Leiden und Freuden ist nichts für den Maître,
Denn alle Zeit, die er göttlicht, ist längst schon vertan.

Früh befiehlt Stil und die Ordnung besetzt die Podeste,
Starrheit, die jeden, der näherkommt, bannt und fixiert,
Täuschung ist alles, was aufbricht und heimelt das Feste,
Denn keine Statue schreitet und schweift im Geviert.

In ihrem Anlitz entdeckst du kein menschliches Eigen,
Wo sich die Rasse noch fürstlich vor jede Person
Stellt und die Würde hat, jegliche Zeit zu verschweigen,
Dort komponierst du archaisch und ganz homophon.

Wenn du die Zeiten verwunden von Irrweg und Lehre,
Stellst du den Kouros ins Licht als den Säulen-Atlant,
Und du erschrickst vor dir selbst und idäischer Ehre,
Weil sich Herakles dir feind seiner Bürde entwand.