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BAUHAUS UND LEBENSREFORM
Das Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin zählt zu den zentralen Kulturwerten im heutigen Deutschland. Das Bauhaus in Dessau versteht sich als Ikone der Moderne, in Weimar gibt es heute die Bauhaus-Universität. Auch in Berlin und in den USA werden die historischen Stätten dieser Bewegung gepflegt. Dabei fehlt es nicht an Kritik. Die gewiß nicht als gesellschaftskritisch bekannte Wikipedia zitiert die Märkische Oderzeitung: »Kritiker bemängelten, daß Gropius im Bestreben, das Bauen zu industrialisieren und zu normieren, auch manchmal zu weit gegangen sei: der Schienenverlauf der Drehkräne hätte Grundrisse bestimmt und nicht die Bedürfnisse der Bewohner; Badewannen würden zwischen Spüle und Herd gesetzt; Fenster ließen sich nicht ganz öffnen; auch die Kupferhaussiedlung in Finow (Oberbarnim) z. B. spräche weder ästhetisch noch funktional an.« Zusammenfassend heißt es: »Gropius hat mit seiner Idee vom Baukasten im Großen die Grundlage für die Plattenbauten in den Satellitenstädten dieser Erde gelegt. Einerseits ermöglichte die industrielle Massenfertigung die Bereitstellung von dringend benötigtem Wohnraum, andererseits anonymisierte sie das Wohnen und schuf neue soziale Probleme.«
Wenn man sich heute fundamentalkritisch mit der Ästhetik auseinandersetzt, die im Bauhaus Gestalt gewann, sieht man sich leicht in die Nähe der Kräfte gerückt, die die Bauhausbwegung zunächst aus Thüringen nach Dessau, dann nach Berlin und schließlich in die Emigration trieben. Dem ist leicht zu entgegnen. Die Nationalsozialisten bezeichneten das Bauhaus als die »Kirche des Marxismus«. Dem steht entgegen, daß der Stalinismus in Moskau, aber auch in der Ostberliner Stalinallee bewußt antimodern an den Historismus anknüpft und die Bauhausbewegung als »kosmopolitisch« bekämpft. »Kirche des Marxismus« wäre also nur gerechtfertigt, wenn man die USA als marxistisches Land betrachtete. Im übrigen muß deutlich betont werden, daß diese Bewegung nicht im Ausland entstanden ist und die Gründer in der deutschen Tradition verwurzelt waren. Die Behauptung von Fremdeinfluß ist eine Weigerung, Selbstverschuldung einzugestehen, ein Art blinder Fleck im Auge, wie er dem nationalsozialistischen Denken auch sonst häufig anhaftet.
Die Bauhausbewegung muß als ein Kind der Lebensreformbewegung im Wilhelmismus betrachtet werden. Dies aufzuzeigen will diese Arbeit versuchen. Zur politischen Relevanz sei abschließend angemerkt, daß die Reformbewegung zwar durchaus Marxisten hervorbrachte, aber ebenso viele Anhänger des Nationalsozialismus und nicht zuletzt die zahlreichen einander feindlichen Schulen der demokratischen Moderne. Eine einseitige Betrachtung verbietet sich daher. Vielmehr handelt es sich um ein grundsätzliches Phänomen, das der Industrialisierung folgt. Im folgenden soll der Reformansatz in bezug auf die Architektur dargestellt werden, im weiteren sollen die Resultate an ursprünglichen Ambitionen gemessen werden. Abschließend werde ich der Frage nachgehen, ob diese Entwicklung unausweichlich war und welche Alternativen heute bestehen.
Am Anfang stehe ein Blick auf das Bauhaus-Signet. Dieses ist von einer Häßlichkeit, die kaum noch zu übertrumpfen ist. Maß und Zentrum der Schönheit ist für den Menschen immer die menschliche Gestalt. Die Überlieferungen verschiedenster Kulturen stimmen darin überein, daß der Weltschöpfer im menschlichen Antlitz sein eigenes Wesen in die Zeit stellt. Alle Ästhetik ist notwendig anthropozentrisch. In der uns umgebenden belebten Natur erkennen wir uns wieder, im Baum, aber auch in der Blume, im Korn auf dem Feld und im Fliegenpilz an der Birke. Bei der Betrachtung eines Blattes läßt sich sehr gut das Verhältnis von Symmetrie und Asymmetrie des Lebens studieren. Uns eignet im Großen die Symmetrie mit leichter Asymmetrie, wie sie sich etwa beim Bauen ohne Präzisionsinstrumente einstellt, im Kleinen eine Vielgestaltigkeit, die durch ihre Tendenz zum Ganzen zusammengehalten wird. Das Bauhaus-Signet tritt all diese Regeln bewußt mit Füßen. Ein exakter Kreis, mit Strichen und Quadraten, die sich jedem organischen Zusammengehen verweigern, und dem Betrachter sagen, daß er keinen Schlüssel zu dieser Hieroglyphe finden kann. Einzelnes, das kein Ganzes bildet und sich trotzig aller Struktur verweigert. Natürlich handelt es sich bei dem Signet nicht um Zufälliges. Aber das Band der Zeichen ist rein intellektuell, esoterisch im eigentlichen Sinn des Wortes, im offenen Widerspruch zu allen unbewußten Harmoniebedürfnissen. Jeder, der nicht durch diese Schule gegangen ist, empfindet die Ausstrahlung einer unerträglichen Arroganz.
Ebenso steht es mit den Bauten der zeitgenössischen Architektur. Unabhängig davon, ob es sich um gigantische Glastürme, verschlungene Rohr- und Ringsysteme, fliegende Untertassen, die von Außerirdischen hergesteuert scheinen, oder um ein schlichtes Einfamilienhaus handelt, immer ist die Verletzung anthropozentrischer Sehgewohnheiten signifikant. Schon beim Einfamilienhaus widersprechen Winkel der Dachschräge, Größe der Dachgauben, Anordnung und Größe der Fenster und manches mehr dem Instinkt für das richtige Maß. Bei größeren Bauten wird mit dem Gefühl für Statik Entsetzen getrieben. Aber nicht nur der Sichtsinn verspürt Unbehagen. Endlos weite Wege sind für den Fußgänger zu überwinden. Die Einfahrt für das Automibil entfaltet hingegen mitunter regelrecht Sakralität. Bei den Baustoffen dominiert das Künstliche und Gesuchte.
Schaut man sich hingegen das Gebäude der Weimarer Kunstgewerbeschule, aus der das Bauhaus hervorging, an, so überwiegt der Eindruck des Gediegenen, Verwurzelten und Tradierten. Gleichwohl ist es verfehlt, einen Bruch zwischen van de Velde und Gropius zu konstatieren, nicht nur, daß Gropius seinen Posten auf Empfehlung des älteren bekam, van de Velde baute später auch den Bücherturm der Uni Gent, der der Gegenwartsarchitektur in punkto Perversität in nichts nachsteht. Die Ursachen müssen also vor dem ersten Weltkrieg gesucht werden.
Die Intentionen von Henry van de Velde und Walter Gropius waren, die Kunst von der Industrialisierung zu emanzipieren und das Kunsthandwerk wieder zu beleben. Wie in anderen Reformansätzen sollte der Unterschied von Handwerker und Künstler aufgehoben werden. In romantischer Manier verstand man dabei unter »Künstler« einen kreativen Menschen, zu dem sich alle, die durch die so empfundene Entfremdung zum stumpfsinnigen Arbeiter reduzierten Menschen erheben sollten. Richtig ist, daß der Historismus früher entwickelte Ornamente massenhaft industriell kopierte und damit entseelte. Es war jedoch eine romantische Verzeichnung des traditionellen Handwerkers, wenn man diesen als »Künstler« apostrophierte. Der vormoderne Handwerker tat im allgemeinen genau das, was im Historismus die Industrie effektiver besorgte, er kopierte überkommene Muster. Wenn er dabei Kreativität entfaltete, dann nicht etwa, um sich im modernen Sinne selbst zu verwirklichen, sondern weil die jeweiligen Umstände eine getreue Übernahme nicht zuließen. Naturgemäß war das nicht immer der Fall. So ergab sich ein gemächlicher Fluß von Wiederholung und gelegentlichem Wandel. Ein Phänomen, das wir heute Stil nennen.
Bei den wesentlichen Gegenständen des Lebens, etwa bei einem Stuhl, über deren Gestaltung sich Menschen seit vielen Generationen Gedanken gemacht haben, kann man davon ausgehen, daß irgendwann ein Optimum gefunden ist und der Gestaltungsspielraum zunehmend verschwindet. Bereits im Jugendstil gewinnt jedoch die Wahnidee Macht, das »Kreative« sei das eigentlich Menschliche, und also müsse der Kreative immerfort neue Formen und Gestalten ersinnen. So kommt es, daß Stühle entstehen, die weder bequem noch haltbar sind und deren Material- und Produktionskosten in keinem Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen. Diese Originalitätssucht trifft sich mit dem Interesse der Industrie, die infolge von Überproduktion mit einem Preisverfall zu kämpfen hat und die Lösung in der Kurzlebigkeit aller Produkte sieht. Jeder Gegenstand des Lebens wird der Mode unterworfen, nicht nur die relativ kurzlebige Kleidung, auch Möbel und Apparate, schließlich auch die Architektur. Dabei war ein Haus seit Menschengedenken immer Symbol des Beständigen, die Generationen Überdauernden, noch heute werden viele Bauten des Mittelalters bewohnt und genutzt. Das Kreativhaus wurde zum Wegwerfhaus.
Die Industrialisierung schuf eine gewaltige Bevölkerungsvermehrung, damit auch eine große Nachfrage an Häusern und anderen Dingen des Lebens. Diese Bevölkerungsvermehrung ist in Mitteleuropa seit langem gestoppt, geblieben ist jedoch die Industrie und ihr Interesse an dauernder Produktionsvermehrung. Da kann eine architektonische Theorie gar nicht verrückt genug sein. Denn je abseitiger, frappierender und berauschender eine Neuschöpfung daherkommt, umso schneller verfällt ihr Ansehen. Nichts ist älter als die Zeitung von gestern. Insofern ist der Abrißauftrag eine sichere Rendite des Bauschaffenden. Da dies Raum für neue Kreativität schafft, dürfen wir den Ansatz von van de Velde durchaus als verwirklicht ansehen. Der Handwerker wird zum Künstler, er schafft Schall und Rauch und verwandelt den Raum in Zeit. Zeit, die sich immer rascher taktet, fortwährend beschleunigt und auf ihren Untergang zurast.
Die Alternative zum Bauhaus liegt natürlich nicht im Historismus, zu dem es ein Reflex ist. Bereits das Stilwollen der Neostile zeigt das Mißverhältnis an, der Stil ergibt sich nicht mehr natürlich aus dem Bauwollen und dem Schönheitsinstinkt. Schon hier sind Beschleunigung und Kurzlebigkeit die Ursachen des Verfalls. Kritiker der Industrie gab es seit dem Auftreten derselben, aber auch heute noch überwiegt die Meinung, diese Entwicklung sei unausweichlich. Dabei ist die Welt sehr reich, wenn der Mensch als Naturwesen agiert. Lang hat er davon geträumt, diese Bürde abzuwerfen. Nun träumt er davon, sie zurückzugewinnen.
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