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Poll
In Deutschland, das in Sonntagsreden so gern als das »Land der Dichter und Denker« bezeichnet wird, ist es das Schicksal der lebenden Dichter ignoriert, das der toten, vergessen zu werden. Und wenn Dichter »wiederentdeckt« werden, dann geschieht dies meist in der Absicht, die gerade herrschende Sicht auf deren Lebenszeit in selbstgefälliger Weise zu illustrieren. In dem Maße, wie Kompenz und Kritikfähigkeit des Publikums dahinschwinden, geschieht dies immer dreister und unverschämter. Ein vorläufiger Höhepunkt wurde mit dem Kino-Machwerk »Poll« des preisgekrönten Regisseurs Chris Kraus erreicht.
Oda Schaefer, die 1900 in Berlin mit baltischen Vorfahren geboren wurde, wuchs in Ostpreußen auf. In ihren Erinnerungen nimmt die Schilderung eines Sommerurlaubs auf dem Gut Poll in Estland einen ausgezeichneten Platz ein. Nach zwei Kriegen mittlerweile in Bayern völlig isoliert und gemieden lebend, verklärt sie die Idylle am Rande der Geschichte am Rande Europas. Die Katastrophe des ersten Weltkrieges bestand für Oda Schaefer vor allem darin, daß sich der von ihr vergötterte Vater, der als Redakteur beim Ostpreußenblatt in Riga durch den Kriegsausgang Arbeit und Heimat verlor, nach der Niederlage erschoß. Eine solche Verzweiflung war damals nicht selten, zumal die Arroganz der Sieger und die Verlogenheit der Mächtigen in Deutschland die Wunden des Krieges nicht heilte, sondern beständig mit Salz bestreute.
Ursprünglich wollte Oda Schaefer Pianistin werden, sie besuchte schließlich eine private Kunstgewerbeschule und nahm Zeichenunterricht. Im Kunstbetrieb des Berlin der 20er Jahre versuchte sie Fuß zu fassen und heiratete den Maler Albert Schaefer-Ast. Kurze Zeit nachdem sie ihren Sohn Peter gebar, wurde die Ehe geschieden. Sie fand in großer materieller Not Unterschlupf bei Ihrem Bruder in Liegnitz an der Oder. Dort lernte sie den Schriftsteller Horst Lange, die große Liebe ihres Lebens, kennen. Mit ihm ging sie 1931 wieder nach Berlin, 1933 heirateten die beiden.
In den 30er und 40er Jahren entstanden ihre bedeutendsten Gedichte, in denen sie, ausgehend vom Erlebnis der schlesischen Landschaft, den trächtigen Grund von Wasser, Sumpf, Moor, Ried und Gras für ihr Gedicht erschloß, ein Reich der Fruchtbarkeit und der Verwesung, aus dem sich das Leitmotiv ihrer Verse entwickelt: der Tod als Verwandlung, die Wiederkehr des Lebendigen. Im Unterschied zur klassischen Romantik nimmt ihre Erneuerung der Naturlyrik wie auch bei anderen Dichtern der »inneren Emigration«, mit denen sie befreundet war, den Realismus produktiv auf, was sich inbesondere im Ringen um das sinnlich konkrete Bild, in der detailgenauen Fassung des Angeschauten zeigt.
Die Kahlschlagliteratur der Nachkriegszeit lehnte ein dichterisches Konzept wie das von Oda Schaefer radikal ab, es roch ihr wohl zu sehr nach »Blut und Boden«. Nach der Währungsreform wurde ihr auch die Mitarbeit im Zeitungsfeuilleton gekündigt. In ihren Erinnerungen an die Nachkriegszeit beschreibt sie einsame Wanderungen in den bayerischen Alpen, die Schau der Natur als einzigen Trost. Als sie 1988 in einem Münchner Altersheim starb, schrieb der »Spiegel«, sie habe »mit der literarischen Moderne [...] wenig anfangen« können, weil sie »das Ansinnen, sich 1945 dem Neubeginn der ‚Gruppe 47’ anzuschließen« zurückgewiesen habe. Als wenn die literarische Moderne 1947 begonnen hätte! Oda Schaefer ist auch ein Beleg für die geradezu totalitäre Eingleisigkeit der Literatur in der BRD.
Chris Kraus, ein Großneffe der Dichterin, hat vielleicht von Thomas Mann gelernt, wie man seine Familie mit Dreck bewirft und sich damit bei der Kunstschickeria profiliert. Es beginnt mit Gut Poll, das vom Land aufs Meer verlagert wird und in seiner Gestalt eher an ein englisches Spukschloß als an einen baltischen Gutshof gemahnt. Morsche Planken und gluckerndes Wasser sollen offenbar eine Atmosphäre schaffen, die an den »Tod in Venedig« erinnert. Natürlich gibt es in Oda Schaefers Erinnerungen nicht den geringsten Hinweis auf ein »morbides Herrenhaus«, wo in dekadentem Müßiggang Standkonzerte veranstaltet werden, während der Aufruhr nur noch mühsam von der zaristischen Polizei unterdrückt werden kann. Diese Dinge entspringen der Phantasie des Großneffen, selbst Benedikt Gondolf nennt in einer Filmbesprechung den Streifen ein »Dunkles Kinomärchen« (»Aspekte«, ZDF), »nicht realistisch«, sondern ein »fantastisches Machwerk« mit einem »todtraurigen Zentrum«. In dieser Rezension erfahren wir auch, Oda Schaefer sei wegen ihrer »linksliberalen Ansichten« das »schwarze Schaf der Familie« Kraus gewesen. Daß man auch aus ganz anderen Gründen Hitler ablehnen könne als aus einer linksliberalen Gesinnung, übersteigt wohl die Phantasie von Herrn Kraus und jener Kritiker, die ihm »großes Kino« bescheinigen.
Es kann nicht deutlich genug betont werden, daß Oda Schaefer zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens linksliberal war, was immer man unter diesem Schlagwort versteht. Im Berlin der 30er Jahre wurde sie eine »Elbische« genannt, was im Zusammenhang mit einem damals in Intellektuellenkreisen beliebten, von Nietzsche inspirierten Neuheidentum zu sehen ist. Mit den Schrecken des Krieges, in dem ihr Mann schwer verwundet und zu mählichem Siechtum verurteilt wurde und ihr Sohn gefallen ist, wandelte sie sich zur Christin, wozu natürlich gehört, daß sie ein Herz für alle Notleidenden hatte. Im »Spiegel« wird sie freilich schon zur »Sozialistin«, weil sie »schwungvolle Modefeuilletons« schrieb. Als würden sich derartige »Jobs« nicht allein der materiellen Not einer erfolglosen Dichterin verdanken. Fälschermeister Kraus konnte also schon auf einige Vorarbeiten aufbauen.
Es soll hier nicht die Kunstfreiheit gepönt werden, die bestimmte Ereignisse und Motive hinzufügt oder verfremdet, Zusammenhänge vereinfacht und Latentes überspitzt. Das »Machwerk« beginnt, wo Grundsätzliches bewußt verdreht wird, um dem ahnungslosen Publikum eine bestimmte Weltanschauung zu verkaufen. Im vorliegenden Fall geschieht das bei den Personen noch krasser als als mit der Örtlichkeit. Zu Oda Schaefer wurde schon einiges gesagt. Hinzuzufügen ist unbedingt, daß sie im Film einen verwundeten Anarchisten rettet und versteckt und ausgerechnet von diesem die Grundlagen der Literatur gelehrt bekommt. Hier wird wahrheitswidrig behauptet, Oda Schaefers Literatur sei einer Rebellion gegen den Vater entwachsen. Das Gegenteil ist richtig. Wie Wolfgang Schühly in seinem Buch »Natursprache« überzeugend dartut, sah Oda Schaefer ihr Dichtertum bis zum Lebensende immer dergestalt, daß »das Erbe ihres Vaters nach einer orphischen Entfaltung drängt.«
Noch krasser ist nur noch, was Kraus dem Vater Oda Schaefers, dem sie Bildung, Kunstsinn und Lebensaufgabe verdankte, antut. Dieser wird im Film zu einem phrenologischen Frankenstein, der natürlich (das Eichmann-Klischee) seine Tochter innig liebt. Aus dem Redakteuer beim Ostpreußenblatt wird im Film ein »Wissenschaftler«, der in einem umgebauten Sägewerk Köpfe von Anarchistenleichen, mit denen ihn russische Polizisten versorgen, zerkleinert. Er ist auf der Suche nach dem Bösen im Gehirn. Bekanntlich wurden solche Versuche tatsächlich in Deutschland mit dem Hirn des Massenmörders Haarmann, und, unter umgekehrtem Vorzeichen, in der Sowjetunion mit Lenins Hirn durchgeführt. Im Film handelt es sich nicht nur um eine grobe Geschmacklosigkeit, die Damönisierung des Vaters hat hier die Funktion, in einer Welt von Dekadenz und Todesangst die unschuldige Liebe zwischen dem pubertierenden Mädchen und dem Revolutionär als Keim, wenn nicht des »Neuen Menschen« so doch einer »befreiten Zukunft«, umso lichter und strahlender erscheinen zu lassen. Die junge Oda Schaefer als Flamme des Fortschritts in einer patriarchalischen und inhumanen Ordnung.
Ich sagte es bereits, als ich den ersten Trailer des Kinofilms sah, der jetzt auch ins Fernsehen gekommen ist: Oda Schaefer hätte gegen diese Verunglimpfung gerichtlich geklagt. Aber die Toten sind eben schutzlos, wenn mit ihnen Schindluder getrieben wird.
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