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Diktynna

Ein neues Jahrbuch

Diktynna war eine Nymphe auf der Insel Kreta. Manchmal wurde sie auch Britomartis oder Aphaia genannt. Sie war eine Tochter von Zeus und Karme, einer Tochter von Euboulos. Der König Minos stellte ihr nach, aber sie floh vor ihm und warf sich schließlich ins Meer. Artemis half ihr und machte sie zu einer Göttin unter dem Namen Diktynna, die Gefangene mit dem Netz. Diktynna diente Artemis und schützte Gebirge, Küsten, Netze und Häfen. Nach einer anderen Überlieferung floh sie auf die Insel Aigina und wurde dort als die Göttin Aphaia angebetet.
In der minoischen Kunst auf Münzen und auf Siegeln und Ringen wurde sie oft mit Meerungeheuern dargestellt. Sie trug eine Doppelaxt und wurde von wilden Tieren begleitet. Man brachte sie mit dem Berg Dikte in Zusammenhang, wo dem Mythos nach Zeus geboren worden war. Obwohl ihre Tempel in Athen und Sparta standen, war sie zuerst eine lokale Gottheit, die nur in Westkreta bedeutend war, zum Beispiel in Lisos oder im westlichen Kydonia. Ihre Tempel wurden von teuflischen Hunden geschützt, die stärker waren als Bären.
In Edmund Spensers Versepos »The Faerie Queene« ist sie als Britomart eine jungfräuliche Ritterin, die Keuschheit symbolisiert. Sie stellt auch militärische Macht als Tugend Englands dar, der Name kann als Wortspiel von Britannien und dem Kriegsgott Mars gedeutet werden. Kritiker sehen in dieser Figur die Königin Elisabeth I. als mächtige und willensstarke Frau. Der zu Unrecht vergessene Dramatiker Wolf von Aichelburg, der in Siebenbürgen lebte und in der Tradition von Grillparzer und Hofmannsthal schrieb, hat immer wieder solche starke Frauen, inbesondere die spartanische Königin Helena, gestaltet, die ja einem Volk und einem ganzen Zeitalter den Namen gab.
Als im Sommer 2008 der Name für ein neues konservatives Jahrbuch gesucht wurde, gab es gute Gründe für mich, den Namen einer starken Frau für dieses Projekt zu wählen. Der Irrweg der Moderne kann mit einigem Recht als männlicher Irrweg gedeutet werden, zumindest als Verabsolutierung einer Hälfte menschlicher Möglichkeiten. Man kennt die antike Scheidung von Homo faber und Homo sinister. In den Klöstern des Mittelalters waren die beiden Topoi noch im Gleichgewicht. Hier wurden nicht nur Wälder gerodet und Felder gepflügt, hier wurden auch Bücher mit kostbaren Initalen und Malereien versehen, hier wurde um die Universalien gestritten und das Gold in den Schriften der Alten gesucht.
Die vormoderne Welt war keine von Stadt und Steuer, sondern eine von Haus und Hof. Ein Emanzipationsproblem gab es nicht. Um das Werk seiner Reformation zu vollenden, brauchte Martin Luther eine starke Frau, die nicht etwa den Staubsauger betreute, sondern den Stall, den Garten und die Brauerei und von deren sechs Kindern heute etwa 2800 Nachkommen leben. Die starke Frau steht auch für die wirkliche Welt, nicht etwa für die digitale und virtuelle.
Auch der Aspekt der »Gefangenen mit dem Netz« war mir wesentlich und ich wählte ein Fischernetz für den Umschlag der ersten Ausgabe. Wir sind Gefangene der modernen Gesellschaft, aber wir sind nicht wehrlos. Das Netz ist nicht nur ein Mittel zum Fang, sondern auch ein Geflecht von Strängen und Knoten. Der Gedanke des Netzwerkes ist eine konservative Idee. Das Netz steht für die Überlegenheit des strukturellen Partikularismus gegenüber der Zentralverwaltung. Jeder Knoten hat seinen Eigenwert, und seine eigene Stellung gegenüber den anderen. Seine Freiheit liegt in seiner Gebundenheit.
Versprengte Einzelkämpfer suchen einen neuen Umgang und einen neuen Widerstand. Es kommt Christliches mit Heidnischem zusammen, Botanik mit Naturerotik, Bildungstradition mit Naivität, Universales mit Deutschem, Reflexion mit Erlebnis. Nachdem die Zeitungswelt linksliberal beherrscht wird, und es die Rechten nicht lassen können, in besserwisserischer Weise immer wieder auf historischen Fragen zu insistieren, versuchte ich im Sinne Nietzsches eine »Fröhliche Wissenschaft«, ein unverkrampftes Spielen mit den ewigen Fragen und Gestalten. Die Anfänge gestalteten sich schwierig, aber bald kam eine große Fröhlichkeit auf: Es besteht kein Grund zum Verzagen, die Erde ist fruchtbar wie doch seit je.
Der Konservatismus wird im heutigen Deutschland zunehmend gesellschaftlich an den Rand gedrängt. Dabei wird der Generalverdacht erhoben, die Protagonisten würden mit den Verhältnissen im Nationalsozialismus symphathisieren. Diese Unterstellung ist schon von daher absurd, da Hitler allenfalls in der Zeit der Machtübernahme taktisch mit den Konservativen zusammenarbeitete, spätestens aber nach Hindenburgs Tod alle Rücksichten in diese Richtung fallen ließ. Es mag ja mancher geglaubt haben, Hitler würde den preußischen König zurückrufen und die Monarchie restaurieren. Dies kann jedoch nur als Ergebnis einer raffinierten Täuschung verstanden werden. Hitlers politisches und soziales Programm war in keiner Weise restaurativ, sondern offensiv modern. Er wollte die Länder und die lokalen Eigenheiten vernichten und einen straffen Zentralstaat schaffen. Er war ein erklärter Feind der ständischen Ordnung und feierte die Vermassung und Gleichschaltung. Er setzte konsequent auf Technik und Infrastruktur und auch auf deren erzieherische Wirkung. Sein Biologismus steht in der Tradition des Materialismus des 18. und 19. Jahrhundert, der seinerseits konsequent antitraditional war. Auch sein Selbstbildnis spricht hier eine deutliche Sprache, immer wieder der unbekannte Frontsoldat im Weltkrieg, das ist das Bruderpathos der Jakobiner und der Roten Fahne, ganz und gar keine Vaterfigur konservativer Prägung. Es kann kein Zweifel bestehen, daß der Nationalsozialismus eine Spielart der französischen Revolution ist, die sich ein dem deutschen Gemüt angepaßtes Tarngewand zugelegt hat.
Wer sich als konservativ versteht, also im Denken und Urteilen vom Dauerhaften und Wiederkehrenden ausgeht, kann mit Hitler und seiner Bewegung nichts anfangen. Die bündische Jugend, der ich mit diesem Jahrbuch auch ein neues Forum geben wollte, wurde im Führerstaat brutal unterdrückt. Auch die Intellektuellen, die in dem Jahrbuch als Zeugen beschworen werden, konnten in der NS-Zeit allenfalls die innere Emigration wählen. Die Leute hingegen, die heute allzuleicht den Faschismusvorwurf erheben, fördern Denkverbote und Gesinnungszensur und damit einen schleichenden Totalitarismus im liberalen Staat. Ihr opportunistischer Charakter hätte sie zu willigen Mitläufern auch in den dreißiger Jahren gemacht. Gegen gleichmacherische und inhumane Ideologie gibt es heute wie immer nur den Imperativ: Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen. Das wird hier versucht.
Es wurde beklagt, daß das Niveau der Beiträge unausgeglichen sei. In der Tat stellt die Konzeption des Jahrbuchs einen Spagat dar. In der babylonischen Gefangenschaft, in der sich der Konservatismus befindet, hat sich ein raffinierter Intellektualismus herausgebildet, der im Widerspruch zum Ideal des Konservativen steht, nämlich dem natürlichen und gottgefälligen Leben. Dieser tiefe Widerspruch des modernen Konservatismus läßt sich nicht kaschieren. Das Jahrbuch versucht, reingebliebenen volklichen Äußerungen ein Forum zu schaffen. Daß dazu ein intellektueller Apparat nötig ist, verschuldet nicht der Konservative, sondern die Moderne.
Eine besondere Rolle nehmen deshalb Fahrtenberichte ein, die in der Tradition des Steglitzer Wandervogels stehen. Hier ist nicht die stilistische Meisterschaft ausschlaggebend, sondern die elementare Gefühls- und Erlebniswelt. Ich möchte diese als ein Refugium außerhalb der modernen Verstrickungen und Verzweckungen betrachten. Diese ganz offenbar unverlierbare Anschauungsgabe stellt eine große Hoffnung dar. Sie beweist uns, daß die Keime für die Rückkehr des Göttlichen und die Ausbildung eines neuen Gleichgewichtes zwischen Mensch und Schöpfung lebendig bleiben.
Es wurde als rassistisch bemängelt, daß in einer Afrikareise laufend von Negern und Negerinnen die Rede ist. Ich halte diesen Vorwurf aus mehreren Gründen für unberechtigt. Im »Wahrig« von 1975 wird das Wort »Neger« als Mensch dunkler Hautfarbe erklärt, es fehlt jeder Hinweis auf einen abschätzigen Charakter der Bezeichnung. Seither werden in den USA nicht enden wollende Versuche unternommen, das Problem der Diskiminierung durch Sprachregelungen zu lösen. Nachdem man in den sechziger Jahren »negro« durch »black« ersetzt hat, hält man seit neuestem auch »black« und »colored« für unfein und favorisiert »african american«. Weil die dunkelhäutigen Amerikaner nur noch äußerst wenig mit Afrika zu tun haben, wird die Absurdität dieser Versuche augenfällig. Die Sprache ist jedenfalls nicht die Verursacherin der sozialen Spannungen, und wer sie nötigt, macht sich entweder lächerlich oder setzt sich dem Vorwurf aus, ein billiges Ablenkungsmanöver zu starten. Nachdem es in Europa seit längerem Brauch ist, amerikanische Befindlichkeiten zu eigenen zu machen, meinen nun auch eine Anzahl deutschsprachiger Autoren, das Wort »Neger« dürfe nicht mehr verwandt werden. Das Volk in Deutschland und Österreich zeigt sich davon recht unbeeindruckt, in der Umgangsprache sind Veränderungen nicht erkennbar, wenn man von bestimmten Kreisen absieht. Wikipedia sieht das Wort dem Kolonialismus des 17. Jahrhunderts entsprungen und mit den Rassetheorien des 19. Jahrhunderts behaftet. Dies scheint mir eine akademische Konstruktion zu sein. Nach meiner Vorstellung gehört die Sprache dem Volk und maßgeblich für den Inhalt von Worten ist nicht die Herkunft, sondern der lebendige Gebrauch. Wer Diskriminierung bekämpfen will, sollte erfolgversprechendere Wege gehen. Daß die Schwulen das einstige Schimpfwort nicht bekämpften, sondern ostentativ umwerteten, war ausgesprochen klug. Wenn in Europa Sprachregelungen für die Bewohner Afrikas aufgestellt werden, ist dies nichts als eine neuerliche Fremdbestimmung.
Last but not least möchte ich erwähnen, daß Diktynna auch das Flaggschiff der Edition Arnshaugk ist, ein Medium, Autoren und Inhalte vorzustellen und zu gewinnen. Vielleicht wird sich mancher anregen lassen zu neuen Beiträgen, zu neuen Büchern. Ich bin überzeugt, daß wir unsere Wirkmöglichkeiten erheblich verbessern können. Richtschnur sollen uns dabei die Natur und mythische Weltsicht sein, wofür die Jägerin mit Axt und Netz steht, die ich im »Idäischen Licht« beschwor:
Tritt in Diktynnas Hafen ein,
Bereit, ihr deinen Vers zu weihn,
Der Mondwelt, die dich nicht betört,
Gibst, was ihr vor der Zeit gehört,
Dann sieh, wie sie dir Stege baut,
Froh, daß auf Kreta deutscher Laut,
Der lutherisch und unmodern
Ehrfürchtig sucht des Wesens Kern
Und hofft, daß ihn die Weisheit schätz
Idäisch jung mit Axt und Netz.